воскресенье, 14 сентября 2008 г.

Süddeutsche Zeitung - Jewgenij Grischkowez - Südossetien

Евгений Гришковец на страницах газеты "Зюддойче Цайтунг"

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Für die meisten in Russland lebenden Menschen trifft das ebenfalls zu. Die Russen wissen im Gegensatz zu Mr. Kennan etwas über Geographie und nationale Kulturen, haben in Nachbarländern Freunde, Verwandte und Kollegen.

Im Unterschied zu Mr. Kennan gehen ihnen alle Konfliktsituationen, die zwischen Russland und seinen Nachbarn entstehen, wirklich nahe. Und solche Situationen gibt es viele und alles ist sehr kompliziert.

Nimmt man Mr. Kennans Satz genau, hat Russland nur Feinde. Da jeder Vasall immer auch ein potentieller Feind ist. Vasallen lieben ihren Herrn nicht, und sie können ihn auch gar nicht lieben. In diesem Sinne befindet sich Amerika in einer weitaus schlechteren Lage. Wer liebt Amerika? Nennen Sie mir jemanden!

Ich war zwei Wochen vor Beginn des Konflikts um Südossetien in Tbilissi. Ich wohnte im Sheraton, einem der besten und teuersten Hotels der Stadt. Es war nicht voll belegt. Einige Touristen waren da und sehr viele amerikanische Militärspezialisten. Den Rangabzeichen nach handelte es sich um Angehörige von Luftwaffe und Raketeneinheiten.

Diese amerikanischen Militärs schienen ihren Aufenthalt in einem guten Hotel sehr zu genießen. Offensichtlich waren sie solche angenehmen Bedingungen und ein solches Luxushotel nicht gewöhnt. Trotzdem trugen sie Felduniform und fühlten sich nicht bemüßigt, ihre Paradeuniform anzulegen. Sie liefen zerknittert, aufgeknöpft und nachlässig herum. Die schöne alte Stadt Tbilissi war ihnen egal. Es war ihnen egal, dass die Gäste im Hotelrestaurant dem Abend und Niveau des Etablissements entsprechend gekleidet waren. Sie sprachen und lachten laut, dachten überhaupt nicht daran, dass jemand sie verstehen könnte.

Mit offenen Armen aufgenommen

Zu den Menschen um sie herum verhielten sie sich wie zu Wesen, die in ihrem Leben nicht existierten. Offensichtlich war ihnen Georgien vollkommen gleichgültig. Ebenso würden sie sich auf jeder x-beliebigen Militärbasis in den USA benehmen. Meinen Sie, die Georgier begegneten diesen Soldaten mit Sympathie? Eben nicht!

Meine Freunde und ich dagegen wurden von den Georgiern mit offenen Armen aufgenommen. Ich war mit der Absicht gekommen, über unsere gemeinsamen Theaterprojekte sowie über die mögliche Eröffnung eines russischen Buchladens in Tbilissi zu sprechen. Wir fuhren zum Literaturhaus, das gerade wiederaufgebaut wird und in dem es ein Literaturmuseum gab und wieder geben wird. In diesem Gebäude lasen einst Gribojedow und Puschkin ihre Werke. Wir verabredeten, dass ich wiederkommen, meine neuen Erzählungen lesen und dem Museum Manuskripte von mir übergeben würde.

Wir redeten viel, erinnerten uns an unsere georgischen Lieblingsfilme und zitierten Dialoge daraus, die in unseren Ländern jeder auswendig kennt. Ich reise viel mit meinen Stücken durch die Ukraine, das Baltikum, Kasachstan, Weißrussland, Georgien und Armenien. Ich reise nicht zu Vasallen und nicht zu Feinden.

Lieben die Franzosen etwa die Deutschen?

Wie einfach es ist, über Russland so zu sprechen! Wie einfach, überhaupt über andere so zu sprechen. Und wie einfach, Grenzen zu ziehen! Ich erinnere mich, wie mich einmal auf einer Pressekonferenz in der Schweiz ein Journalist fragte, ob ich mich für einen Europäer hielte. Worauf ich antwortete: "Auf diese Frage zu antworten, ist sinnlos, denn jemand, der mir diese Frage stellt, hält mich nicht für einen Europäer."

Ich weiß, dass das, was ich jetzt schreibe, in Deutschland gelesen wird. Eine gewisse, wohl rhetorische Frage drängt sich auf: Bestehen etwa in Europa zwischen allen wunderbare gutnachbarschaftliche Beziehungen? Lieben die Franzosen etwa die Deutschen und umgekehrt? Haben etwa alle einen Narren gefressen an den Engländern? Haben die Belgier etwa die Holländer ins Herz geschlossen? Schon in einem Haus, das mehrere Wohnungen hat, ist das Leben immer schwierig. Vollkommen wolkenlose und ungetrübte Beziehungen zwischen Nachbarn - so etwas gibt es nicht. Besser und bequemer ist es, ganz ohne Nachbarn zu leben. In vielerlei Hinsicht strebt Amerika danach, so zu leben.

Lesen Sie auf Seite drei über die Macht der Medien.

13.09.2008 Süddeutsche Zeitung

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